Die Schlange an der Gästeliste ist so lang, dass man 45 Minuten warten muss, um reinzukommen. Es sieht tatsächlich so aus, als würde die Mehrheit der Besucher über diesen Eingang kommen. Die zwei Jungs vor uns in der Schlange kriegen VIP-Schilder und Getränkegutscheine, wir nicht, wir kriegen pinke Armbändchen. Beim ersten Rundgang wird klar, warum VIP sein von Vorteil ist: Nur in der offensiv platzierten VIP-Area kann man sitzen, wenn man einmal von den paar längst belegten Erholungsskulpturen im Untergeschoss absieht. Mindestens die Hälfte der Besucher arbeitet offenbar bei MTV, der Rest wahrscheinlich irgendwo in der restlichen Medienbranche. Ich erwäge, noch mal neu anzufangen und ein Handwerk zu lernen. An der Garderobe wird zur Gewissheit, was ich schon den ganzen Sommer über geahnt hatte: es ist die American Apparel-Tasche und nicht der Tunbeutel. Gleichzeitig ärgere ich mich, weil ich weiß, wie die dumme Tasche heißt, die aussieht, als wäre darin mal ein Igluzelt verpackt gewesen.
Die Dekoration ist auffallend pink, an jeder Ecke wird Essen angeboten; Hot Dogs, belegte Baguettes. Klar, es ist zehn Uhr abends, die Leute kommen gerade von der Arbeit. Es gibt noch andere Stände, z.B. mit T-Shirts, und ich werde den Verdacht nicht los, dass ich heute Abend hier auch einen Telefonvertrag abschließen könnte. Jedes Mal, wenn sich jemand eine Zigarette anzündet, ist sofort ein dicker Security-Mann zur Stelle, der auf das Rauchverbot hinweist. Aufgrund des hohen Bewegungsaufkommens (die Leute suchen dringend was zum hinsetzen!) wird einer der beiden Treppenaufgänge kurzerhand zum VIP-Treppenaufgang erklärt. Zwei Spackos legen Platten auf, sie werden von vier Kameras gleichzeitig gefilmt. Auch wir haben mit Betreten der Veranstaltung alle unsere Rechte aufgegeben, steht auf angeklebten DIN A4 Zetteln. Ein Mann mit einem Klemmbrett will wisssen, ob mich morgen jemand anrufen kann und fragen wie mir die Veranstalung gefallen hat. Morgen werden Köpfe rollen. Ich lehne ab.
Oben fangen die Bands an zu spielen, unten posieren zwei Mädchen für eine Fotografin. Als die Mädchen anfangen sich gegenseitig auszuziehen, bleiben alle möglichen Leute stehen und fotografieren das mit ihren Telefonen. Ich geh mir Peaches angucken. Sie trägt ein pinkes Kostüm und sieht um den Kopf herum aus wie ein Pudel. Nach jedem Lied zieht sie ein Kleidungsstück aus, am Ende kann man sehen, dass sie ein Blinklicht an ihrer Unterhose befestigt hat. Das ist ja mal wirklich provokant, denke ich, und frage mich, warum mir trotzdem so langweilig ist.
Ich schaue mich um und denke, so sieht es also aus, wenn Eventmanager Subkultur inszenieren und nebenbei eine Werbebotschaft unterbringen müssen. Die willkürliche und rein effekthascherische Zusammenfügung von aufdringlich bedeutungsgeladenen Zeichen ist armselig und frustrierend, und vor allem: sie ergibt überhaupt keinen Sinn, aber die Leute scheinen sich zu amüsieren, und plötzlich verstehe ich, was postmodern ist, und warum Umberto Eco sich weigert, sich damit zu beschäftigen. Ich will mich auch nicht damit beschäftigen und tanze ein bisschen, und freue mich darüber, dass die Frau neben mir so lustig und außerordentlich postmodern tanzt.
Dienstag, 25. November 2008
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