Montag, 16. März 2009

Player Piano

So hieß der erste Roman von Kurt Vonnegut, der 1952 erschien. Er spielt in einer dystopischen Zukunft, in der alle Arbeit von Maschinen getan wird und die Menschen beschäftigungslos bleiben. Das automatische Klavier ist hier ein Symbol für die mechanisierte Welt, in der die Menschen überflüssig geworden sind. Ob die Tätigkeit des Klavierspielens mit einer monotonen, fremdbestimmten und möglicherweise auch noch krankmachenden Arbeit verglichen werden kann, wie sie Menschen etwa in Fabriken oder Minen verrichten, ist fragwürdig, muss aber ein andermal diskutiert werden.
Bleiben wir aber beim automatischen Klavier. Es ist aus verschiedenen Gründen eine faszinierende Erfindung, Dystopie hin oder her: erstens sieht es so aus, als würde es von einer unsichtbaren Person gespielt werden:

Und tatsächlich ist das Abspielen der Notenrolle das Negativ des Einspielprozesses, außer dass er immer wiederholbar ist. Die unsichtbare Person ist, wenn man so will, der Geist des ursprünglichen Spielers, der sich durch das Negativ der Notenrolle re-manifestiert; das wäre zweitens. Hier wird erklärt, wie das Ein- und Abspielen bei so einem Klavier funktioniert. Es gibt inzwischen fast hundert Jahre alte Aufnahmen, in denen z.B. Scott Joplin seine eigenen Stücke eingespielt hat; wenn man sie einlegt, hört und sieht man Joplin spielen (hier, hier und hier leider nur zum anhören), aber der Träger der Musik ist nur ein Stück Lochpappe. Diese Notenrollen-Methode ist (drittens) also gleichzeitig digital und analog!
Diese Gleichzeitigkeit war es vermutlich auch, die diesen Bastler dazu animierte, auf seiner Spielkonsole diese gleichzeitig haarsträubende und umwerfende digital-digitale Joplin-Interpretation zuerstellen (ich glaube, bei 1.30 höre ich tatsächlich ein Schwein grunzen):

Oh mein Gott! Ich habe Kanzi getötet!

Heute aß ich einen Apfel. Soll ja gesund sein. Nur zum Spaß wollte ich wissen, wie weit denn dieses Früchtchen (Öbstchen?) zu mir reisen musste; jedoch enthielt der Plastikaufkleber anstatt einer Herkunftsangabe nur eine Webadresse. Heutzutage kommt ja kein Kernobst mehr ohne gescheite Webpräsenz aus. Diese Homepage ist einen Besuch allerdings wert. Denn dieser Apfel heißt nicht nur wie eine Angela Merkel-Actionfigur, er bietet auch sonst allerlei spektakuläre Lifestyle-Features:
"Kanzi ist ein erfolgreicher Apfel mit überraschend vollem Aroma. Den Kanzi umgibt etwas Mysteriöses. Wo der Kanzi genau seine Wurzeln hat, das wird uns ein Geheimnis bleiben. Wenn Sie sich oder Ihre Lieben einmal so richtig verwöhnen möchten, entscheiden Sie sich für den Kanzi. Wollen Sie diese Versuchung der Natur einmal selbst probieren oder verschenken? Fragen Sie Ihren Obsthändler nach dem Kanzi."
Was habe ich nur getan? Habe ich dem kometenhaften Aufstieg dieses erfolgreichen Apfels durch schnöden Verzehr ein jähes Ende bereitet? Die Königin, äh, Kanzlerin der Äpfel gemeuchelt? Dem geheimnisvollen rotbackigen Verführer den Garaus gemacht? Das Paradies zertrampelt?
Ich glaube, ich werde nie wieder Obst essen können. Oder nur noch Bananen.
Überigens hat dieser Apfel ganz genau so unspektakulär geschmeckt wie jeder andere Apfel aus dem Supermarkt.