Dienstag, 11. Dezember 2007

Zum Beispiel Adorno

Und dann plage ich mich ja auch noch seit einigen Wochen mit Judith Butlers "Kritik der ethischen Gewalt" herum. Leider bin ich über das erste Kapitel immer noch nicht hinausgekommen. In diesem Kapitel geht es zunächst um Adorno. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann sagt sie, dass Adorno sagt (und das heißt jetzt dass ich sage, dass Judith Butler sagt, dass Adorno sagt - so funktioniert die Welt, oder?) dass "das kollektive Ethos (...) unausweichlich ein konservatives ist und eine falsche Einheit setzt, welche die Schwierigkeiten und Diskontinuitäten jedes zeitgenössischen Ethos zu unterdrücken sucht" (S. 10), und dass außerdem "das Schwinden des Ethos die Voraussetzung für die Zunahme moralischer Fragen ist" (S.11). In meinen eigenen Worten: Die Ethik hinkt der Realität immer hinterher. Wir versuchen der Gegenwart mit moralischen Vorstellungen der Vergangenheit bezukommen (womit nicht gesagt ist, dass diese Vorstellungen der Vergangenheit unbedingt angepasst waren, hier kommt, in allen Zeiten, die Gewalt ins Spiel). Die Diskrepanz zwischen Moral und Realität (ja, ich habe Schwierigkeiten die Begriffe Moral, Ethik und Ethos gegeneinander abzugrenzen!) führt zu Diskussionen über moralische Fragen, und, in günstgen Fällen, zur Anpassung der obsoleten Moralvorstellungen an die gegenwärtigen Verhältnisse (bei Adorno bzw. Butler: "der Stand des Bewusstseins des Menschen und auch der Stand der gesellschaftlichen Produktivkräfte"). Der Gesellschaft durch die öffentliche Meinung oder auch in institutionalisierter Form veraltete normative Werte zu diktieren (man denke nur einmal an die Gesetzgebung zur Homosexualität) wäre demnach ein Akt der Gewalt, die (teilweise) Aufgabe dieses Ansinnens ein emanzipatorischer Akt. Im Grunde genommen ist das ja keine besonders spektakuläre Erkenntnis.
Dann las ich gestern bei Spiegel online (wo sonst) einen Artikel über die gescheiterte Ehe des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger. Der Autor geht darin der interessanten Entwickung der moralischen Ansprüche der konservativen/christlichen Parteien nach. Während das laszive moralische Verhalten politischer Kontrahenten von konservativen Kreisen bislang oft öffentlich gegeißelt und als Indiz für deren allgemeine Unzuverlässigkeit angeführt wurde, so profitieren Politiker eben dieser Kreise neuerdings von der Verschiebung moralischer Vorstellungen, die sie stets angeprangert haben. So wären Geschichten wie die der Ehen von Seehofer oder nun Oettinger noch vor ein paar Jahren nicht denkbar gewesen. Andererseits geraten konservative Parteien durch diese Entwicklung natürlich in Gefahr, an Profil zu verlieren, da sie sich ja die Konservierung von Werten auf die Fahnen geschieben haben, deren Unhaltbarkeit von ihren eigenen Repräsentanten vorgeführt wird.
Ich fand es jedenfalls interessant, dass dieses aktuelle Beispiel genau den Prozess widerspiegelt, den Adorno/Butler in ihren Ausführungen zur Moral/Ethik beschreiben.

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