Das inspirierte das eine oder andere visuell orientierte Nachrichtenmagazin zu Bilderserien á la "Best-of-Kriegsfotografie". Worum geht es dabei? In dem Film "Das fünfte Element" lernt Leeloo, der perfekte Mensch, die Geschichte der Menschheit an einem Nachmittag vor einem Computermonitor. Bilder spielen dabei scheinbar eine zentrale Rolle, und nachdem sie all die schrecklichen Bilder, die beim Stichwort "War" ablaufen, gesehen hat, möchte sie mit der Menschheit nichts mehr zu tun haben.
Und tatsächlich gibt es ja eine Reihe von Bildern, die jeder kennt und anhand derer man die letzten hundert Jahre auf eine Diashow von weniger als einer Minute zusammenschnurren lassen kann: der fallende Soldat von Capa, der Junge aus dem Warschauer Ghetto, die Leichenberge aus Bergen-Belsen, Der Atompilz von Hiroshima, wie Kennedy erschossen wird, ein Mensch auf dem Mond, die Napalm-Opfer-Kinder aus Vietnam, Tschernobyl von oben, wie alle auf der Berliner Mauer feiern, die brennenden Twin Towers, der Mann mit der Hundeleine. Bestimmt habe ich ein paar Bilder vergessen, und manches hängt bestimmt auch von der Perspektive und vom Alter des Betrachters ab, aber es ist ja unstrittig, dass es diese Bilder gibt, die jeder erkennt, weil sie zur kollektiven Erinnerung gehören (die, jaja, konstruiert ist).
Es sind die Bilder, die man immer wieder zu sehen bekommt, wenn ein bestimmtes Thema verhandelt wird, wenn ein bestimmter geschichtlicher Hintergrund illustriert werden soll, die Bilder, "mit deren Hilfe die Geschichte in unseren Köpfen befestigt wird" (Susan Sontag). Oft ist es sogar schon so, dass die Bilder die geschichtlichen Informationen ersetzen, weil sie als bekannt vorausgesetzt werden. Dabei reicht es meistens auch schon, einfach irgendwie Bescheid zu wissen: es genügt zu erkennen, dass es um den Holocaust geht, wenn man die Leichen und ausgemergelten Gestalten sieht, was spielt es da noch für eine Rolle, wer genau wem was angetan hat und wann. Es genügt zu erkennen, dass es sich um die sechziger Jahre handelt und das gesuchte Stichwort "Protest" ist, wenn man Hippies sieht oder Demonstranten (aus der Entfernung sind diese beiden Gruppen sowieso schwer unterscheidbar). Es ist also möglich, die Bilder erkennen, ohne die Geschichte zu kennen.
Denn das wichtigste an diesen Fotos ist doch, dass sie an sich überhaupt nichts aussagen. Sie sind ohne ihren Kontext absolut wertlos und sie rufen im Betrachter außer Irritation keine Gefühle hervor, wenn er nicht weiß, worum es geht. Das unaufhörliche Zeigen der immer gleichen Bilder erweckt in ihm nur die Illusion von Informiertheit, das Gefühl, irgend etwas zu verbinden mit dem Gezeigten, und sei es auch nur, diese Bilder schon unzählige Male gesehen zu haben.
Das gleiche passiert anscheinend gerade mit dem Irak-Krieg. Die Funktion solcher Jubiläums-Fotogalerien ist, den Betrachter schon mal vertraut zu machen mit den Bildern, die er in Zukunft immer zu sehen bekommt, wenn es um den Irak-Krieg gehen wird. Zum Jahrestag kann man einmal innehalten und schon mal ein paar gute Bilder fürs Album aussuchen.
Interessanterweise habe ich die meisten der Bilder noch nie gesehen. An sich ist das aber kein Problem: wenn es in der nächsten Zeit nur oft genug wiederholt wird, dass das die Bilder sind, die untrennbar mit diesem Krieg verbunden sind, dann wird es auch irgendwann so sein.
Und dabei fällt auch auf, dass sich die beiden Bildergalerien stark voneinander unterscheiden. Vor allem enthält die Spiegel-Galerie keines der Abu Ghraib-Bilder, die Stern-Galerie schon. Und damit wird auch deutlich, wie politisch diese eigentlich objektiven Bilder eigentlich sind: denn mit der Auswahl der Bilder wird auch gleichzeitig eine Entscheidung getroffen über die Bewertung des Gezeigten: Wenn man Bilder vom Krieg zeigt, zeigt man Sieger, oder zeigt man Opfer? Und wenn man Opfer zeigt, dann welche? Daran entscheidet sich letzten Endes die Bewertung des Krieges in der Zukunft, wenn die Wogen sich geglättet haben werden. Vietnam wird für immer die schreienden, weinenden Napalm-Kinder sein, auch wenn es bestimmt viele Bilder von erschöpften Soldaten gab. Darüber, was der Irak-Krieg sein wird, wird anscheinend im Moment noch gerungen.
Montag, 24. März 2008
Samstag, 22. März 2008
Folterstern
Diese Woche im "Stern" die große Titelgeschichte: Interview mit Lynndie England, der "Frau aus dem Folter Gefängnis". (Steht das da eigentlich über dem Eingang? "Abu Ghraib, Foltergefängnis"?)
Ziemlich reißerisch aufgemacht das Ganze, aber das Interview ist ganz interessant. Sie habe nur Befehle befolgt, sagt sie. Eigentlich ist das ja eine ziemlich unoriginelle Ausrede, die wir schon zu genüge kennen, aber diesmal musste ich ausnahmsweise nicht an Nazis denken, sondern an Filme wie "Full Metal Jacket" oder "Jarhead", in denen die Ausbildung der Army vor allem darin besteht, die Körper der Rekruten zu stählen, und deren Willen zu brechen. Lynndie England: "(...) im Militär folgst du Befehlen. Es heißt immer nur: Yes, Sir. No, Sir, Du folgst ihnen. Du stellst keine Fragen. Jetzt aber sagen die: "Du hättest Fragen stellen sollen.""
Ich war ja nie in einer Armee, und ich kenne auch fast niemanden, der bei der Bundeswehr war (auch noch so ein Phänomen, über das man mal nachdenken sollte), aber wenn diese Filme die Realität einigermaßen zutreffend darstellen, dann geht es bei dieser Ausbildungsmethode vor allem darum, dem Soldaten absoluten Gehorsam einzutrimmen, auch wenn der Befehl ganz offensichtlich jeglicher Vernunft widerspricht und nur der Willkür und dem Sadismus des Befehlsgebers entstammt. Wie weit die Soldaten jeweils sind, kann man testen, indem man extra sinnlose Befehle gibt, und dann diejenigen öffentlich demütigt, die sich dem Befehl vernünftigerweise widersetzen. Demütigungen von Vorgesetzten ohne Murren auszuhalten, ist auch so eine Fähigkeit, die man in der Grundausbildung lernt. Ich weiß auch nicht, wozu das im Krieg nützlich sein soll, aber anscheinend sind es Eigenschaften, die man sehr schätzt an Soldaten: wenn sie nicht nachdenken, sondern gehorchen und sich demütigen lassen.
Ist es nicht das Ziel der Ausbildung, den Charakter dieser Menschen zu formen? Am Ende sind die Menschen, die man erhält, solche, in deren Realität Gewalt und Demütigung vorkommen, weil sie sie in der Armee kennengelernt haben. Wenn diese Menschen, nachdem sie sich jahrelang anschreien und herumkommandieren haben lassen, endlich in eine Position gelangen, in der sie Macht über andere Menschen ausüben können, ist es dann besonders verwunderlich, dass sie die Gelegenheit freudig ergreifen und alles zurückgeben, was sie erhalten haben? Man könnte auch sagen: anwenden, was sie gelernt haben? Ist es denn nicht eine Binsenweisheit, dass gedemütigte Menschen niemals Macht über andere bekommen sollten? Der Umkehrschluss, dass man Menschen, denen man Macht über andere anvertrauen möchte, vorher keinen Demütigungen aussetzen sollte, liegt da eigentlich nahe.
Ich will die Leute nicht verteidigen, die dort Gefangene gefoltert haben, und allem Anschein nach auch noch Spaß daran hatten, ich frage mich nur, ob es sich bei ihnen, wie Rumsfeld behauptete, um "faule Äpfel" in einer ansonsten tadellosen Organisation handelt, oder ob eine hierarchisch organisierte Einrichtung, wie es eine Armee nun mal ist, nicht die Folter schon prinzipiell in sich trägt, und ob nicht Ausbildungsmethoden, wie diejenigen, die via Popkultur zu uns dringen, nicht den eventuell vorhandenen Sadismus in den Soldaten legitimiert und fördert.
In dem Interview heißt es weiter "Was wir gemacht haben, passiert in jedem anderen Krieg. Nur gibt es davon keine Beweise in Form von Fotos. Ohne die Bilder wäre die Aufregung niemals so groß gewesen." Erst letzte Woche wurden die Urteile im Prozess um die Folterungen in der Bundeswehr gesprochen. Wenn man sich die Aufnahmen dieser "Übungen" anschaut, erhält man manchmal den Eindruck, als ob die Beteiligten dort das Prinzip Krieg/Armee nachspielen, so wie sie es aus Filmen kennen. Und dieses Prinzip ist offenbar nicht nur in meiner Vorstellung mit Demütigung und Folter verbunden, sondern auch in der dieser Rekruten.
Ziemlich reißerisch aufgemacht das Ganze, aber das Interview ist ganz interessant. Sie habe nur Befehle befolgt, sagt sie. Eigentlich ist das ja eine ziemlich unoriginelle Ausrede, die wir schon zu genüge kennen, aber diesmal musste ich ausnahmsweise nicht an Nazis denken, sondern an Filme wie "Full Metal Jacket" oder "Jarhead", in denen die Ausbildung der Army vor allem darin besteht, die Körper der Rekruten zu stählen, und deren Willen zu brechen. Lynndie England: "(...) im Militär folgst du Befehlen. Es heißt immer nur: Yes, Sir. No, Sir, Du folgst ihnen. Du stellst keine Fragen. Jetzt aber sagen die: "Du hättest Fragen stellen sollen.""
Ich war ja nie in einer Armee, und ich kenne auch fast niemanden, der bei der Bundeswehr war (auch noch so ein Phänomen, über das man mal nachdenken sollte), aber wenn diese Filme die Realität einigermaßen zutreffend darstellen, dann geht es bei dieser Ausbildungsmethode vor allem darum, dem Soldaten absoluten Gehorsam einzutrimmen, auch wenn der Befehl ganz offensichtlich jeglicher Vernunft widerspricht und nur der Willkür und dem Sadismus des Befehlsgebers entstammt. Wie weit die Soldaten jeweils sind, kann man testen, indem man extra sinnlose Befehle gibt, und dann diejenigen öffentlich demütigt, die sich dem Befehl vernünftigerweise widersetzen. Demütigungen von Vorgesetzten ohne Murren auszuhalten, ist auch so eine Fähigkeit, die man in der Grundausbildung lernt. Ich weiß auch nicht, wozu das im Krieg nützlich sein soll, aber anscheinend sind es Eigenschaften, die man sehr schätzt an Soldaten: wenn sie nicht nachdenken, sondern gehorchen und sich demütigen lassen.
Ist es nicht das Ziel der Ausbildung, den Charakter dieser Menschen zu formen? Am Ende sind die Menschen, die man erhält, solche, in deren Realität Gewalt und Demütigung vorkommen, weil sie sie in der Armee kennengelernt haben. Wenn diese Menschen, nachdem sie sich jahrelang anschreien und herumkommandieren haben lassen, endlich in eine Position gelangen, in der sie Macht über andere Menschen ausüben können, ist es dann besonders verwunderlich, dass sie die Gelegenheit freudig ergreifen und alles zurückgeben, was sie erhalten haben? Man könnte auch sagen: anwenden, was sie gelernt haben? Ist es denn nicht eine Binsenweisheit, dass gedemütigte Menschen niemals Macht über andere bekommen sollten? Der Umkehrschluss, dass man Menschen, denen man Macht über andere anvertrauen möchte, vorher keinen Demütigungen aussetzen sollte, liegt da eigentlich nahe.
Ich will die Leute nicht verteidigen, die dort Gefangene gefoltert haben, und allem Anschein nach auch noch Spaß daran hatten, ich frage mich nur, ob es sich bei ihnen, wie Rumsfeld behauptete, um "faule Äpfel" in einer ansonsten tadellosen Organisation handelt, oder ob eine hierarchisch organisierte Einrichtung, wie es eine Armee nun mal ist, nicht die Folter schon prinzipiell in sich trägt, und ob nicht Ausbildungsmethoden, wie diejenigen, die via Popkultur zu uns dringen, nicht den eventuell vorhandenen Sadismus in den Soldaten legitimiert und fördert.
In dem Interview heißt es weiter "Was wir gemacht haben, passiert in jedem anderen Krieg. Nur gibt es davon keine Beweise in Form von Fotos. Ohne die Bilder wäre die Aufregung niemals so groß gewesen." Erst letzte Woche wurden die Urteile im Prozess um die Folterungen in der Bundeswehr gesprochen. Wenn man sich die Aufnahmen dieser "Übungen" anschaut, erhält man manchmal den Eindruck, als ob die Beteiligten dort das Prinzip Krieg/Armee nachspielen, so wie sie es aus Filmen kennen. Und dieses Prinzip ist offenbar nicht nur in meiner Vorstellung mit Demütigung und Folter verbunden, sondern auch in der dieser Rekruten.
Dienstag, 18. März 2008
Huch?
Ist das hier schon mal jemandem aufgefallen?
Bestimmt ist es lang und breit durchgekaut worden, als das Video rauskam. Na und? Ich habe es trotzdem ganz alleine rausgefunden.
Und das ist noch nicht alles, er hier macht das Ganze auch noch mit Palindromen. Mit Palindromen! Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie! Und wie viele es davon gibt in Englisch! Aber hier sehe ich gerade, dass es auch im Deutschen noch ein paar schöne sinnfreie spiegelbare Sätze gibt.
Oh, Palindrome mochte ich so gerne als Kind. Ich glaube aber, ich mochte das Wort sogar noch lieber als das, was es bezeichnet. Es klingt doch ein bisschen so wie ein merkwürdiges Tier, eine Mischung aus einer Giraffe und einer Raupe, und ich habe keine Ahnung wie dieses Tier aussehen müsste, aber es würde mit Sicherheit Palindrom heißen und wäre grün und rot.
Bestimmt ist es lang und breit durchgekaut worden, als das Video rauskam. Na und? Ich habe es trotzdem ganz alleine rausgefunden.
Und das ist noch nicht alles, er hier macht das Ganze auch noch mit Palindromen. Mit Palindromen! Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie! Und wie viele es davon gibt in Englisch! Aber hier sehe ich gerade, dass es auch im Deutschen noch ein paar schöne sinnfreie spiegelbare Sätze gibt.
Oh, Palindrome mochte ich so gerne als Kind. Ich glaube aber, ich mochte das Wort sogar noch lieber als das, was es bezeichnet. Es klingt doch ein bisschen so wie ein merkwürdiges Tier, eine Mischung aus einer Giraffe und einer Raupe, und ich habe keine Ahnung wie dieses Tier aussehen müsste, aber es würde mit Sicherheit Palindrom heißen und wäre grün und rot.
Sonntag, 16. März 2008
Assoziations-Amok
Weil ich gestern den Bob-Dylan-Nicht-Bob-Dylan-Film "I'm not there" gesehen habe, der mich einigermaßen ratlos zurückgelassen hat, suchte ich heute Hilfe in den Feuilletons. Im Grunde fand ich dort auch nur das, was ich mir auch selber schon gedacht hatte, nur in schöneren Worten; der Konsens aller Besprechungen ist jedenfalls: die Irritation ist beabsichtigt und gut. Ich stimme zu, Irritation ist immer besser als vorgegaukelte Gewissheit, aber wahrscheinlich interessiere ich mich einfach nicht genug für Bob Dylan, um all den Symbolen und Verweisen hinterherzuspüren, um herauszufinden, wo jetzt der Regisseur diesen nicht Bob Dylan genannten Künstler überall verortet.
Dass man einer Person in einem Film nicht gerecht werden kann, ist ja an sich auch keine besonders bahnbrechende Erkenntnis, und sie gilt im Übrigen nicht nur für Bob Dylan. Insofern ist die Negation des Personenkults, die sich in der Aufsprengung der Person in sechs oder sieben Fragmente äußert, eigentlich schon wieder eine neue Art von Mythologisierung. Vielleicht kann man eine Johnny-Cash Biografie drehen, impliziert dieses Verfahren, aber Bob Dylan ist viel größer als das. Aber vielleicht ist daran auch nicht der Regisseur schuld, der die Unmöglichkeit der Biografie verfilmt, sondern all die Regisseure, die absurderweise die Möglichkeit irgendeiner verfilmbaren Biografie (Hitler, Jesus usw.) behaupten.
Wie auch immer, ich möchte gar nichts schlimmes über diesen Film sagen, außer dass er ganz schön lang war dafür wie unbequem die Sitze im Kino waren, ich wollte nur auf diese Perle der Assoziationskunst aufmerksam machen, auf die ich gerade in einer Filmkritik im ND stieß:
"Der Kinderdarsteller Marcus Carl Franklin ist – anders als Dylan, anders auch als der verbürgte Woody Guthrie – ein Afroamerikaner. Und Cate Blanchett ist – auch mit Hemdkragen, Manschettenknöpfen und dauerqualmender Zigarette im Mundwinkel – nun, eine Frau. Beides leuchtet im artifiziellen Gesamtkonzept dieses Films durchaus ein. Da Dylan (unter anderem) ganz Amerika verkörpert, ist er auch Frau und Schwarzer; wenn man so will, auch Hillary Clinton und Barack Obama."
Cate Blanchett ist also - wenn man so will- Hillary Clinton, weil sie erstaunlicherweise, nun, eine Frau ist. Und beide spielen Mann, nämlich Bob Dylan und Präsident? Uh, ah, ich muss noch ein wenig darüber nachdenken.
Dass man einer Person in einem Film nicht gerecht werden kann, ist ja an sich auch keine besonders bahnbrechende Erkenntnis, und sie gilt im Übrigen nicht nur für Bob Dylan. Insofern ist die Negation des Personenkults, die sich in der Aufsprengung der Person in sechs oder sieben Fragmente äußert, eigentlich schon wieder eine neue Art von Mythologisierung. Vielleicht kann man eine Johnny-Cash Biografie drehen, impliziert dieses Verfahren, aber Bob Dylan ist viel größer als das. Aber vielleicht ist daran auch nicht der Regisseur schuld, der die Unmöglichkeit der Biografie verfilmt, sondern all die Regisseure, die absurderweise die Möglichkeit irgendeiner verfilmbaren Biografie (Hitler, Jesus usw.) behaupten.
Wie auch immer, ich möchte gar nichts schlimmes über diesen Film sagen, außer dass er ganz schön lang war dafür wie unbequem die Sitze im Kino waren, ich wollte nur auf diese Perle der Assoziationskunst aufmerksam machen, auf die ich gerade in einer Filmkritik im ND stieß:
"Der Kinderdarsteller Marcus Carl Franklin ist – anders als Dylan, anders auch als der verbürgte Woody Guthrie – ein Afroamerikaner. Und Cate Blanchett ist – auch mit Hemdkragen, Manschettenknöpfen und dauerqualmender Zigarette im Mundwinkel – nun, eine Frau. Beides leuchtet im artifiziellen Gesamtkonzept dieses Films durchaus ein. Da Dylan (unter anderem) ganz Amerika verkörpert, ist er auch Frau und Schwarzer; wenn man so will, auch Hillary Clinton und Barack Obama."
Cate Blanchett ist also - wenn man so will- Hillary Clinton, weil sie erstaunlicherweise, nun, eine Frau ist. Und beide spielen Mann, nämlich Bob Dylan und Präsident? Uh, ah, ich muss noch ein wenig darüber nachdenken.
Mittwoch, 5. März 2008
Der Preis der Freiheit
Ebenso alt wie die Zivilisation scheint der Überdruss an der Zivilisation zu sein. Schon der antike Philosoph Diogenes zog es der Legende nach vor, in einer Tonne zu hausen, weil er der Meinung war, dass wahre geistige Freiheit mit materieller Bedürfnislosigkeit einhergeht.
Im Jahr 1845 zog sich H.D. Thoreau in eine selbstgebaute Blockhütte in den Wäldern von Massachusetts zurück, wo er zwei Jahre lang alleine lebte. Seine Erlebnisse und Gedanken veröffentlichte er später in seinem bekanntesten Werk "Walden, or, The Life in the Woods", das fortan zu Bibel aller Zivilisationsverweigerer wurde.
Auch der junge Chris, Held des Films "Into the Wild", ist der ihn umgebenden amerikanischen Mittelklassewelt überdrüssig. Nach dem Collegeabschluss graust ihn die Vorstellung, ein Studium aufzunehmen und letzendlich so zu werden wie seine Eltern. Er spendet seine Ersparnisse für die Universität an Oxfam, vernichtet alle seine Karten und Ausweise und begibt sich auf die Reise. Wohin? Nach Westen, versteht sich, wo schon immer das Abenteuer und die Freiheit lockte.
Zwei Jahre ist Chris unterwegs, er durchstreift Wüsten und Regenwälder und paddelt auf dem Colorado River bis nach Mexiko. Fast immer ist er dabei alleine, und obwohl die Aufnahmen der Landschaften schon von sich aus einen Eindruck von Freiheit und Unendlichkeit vermitteln, schien es den Filmemachern wichtig zu sein, dass dieses Gefühl zusätzlich schauspielerisch dargestellt wird. Doch wie stellt man Freiheit dar? Gar nicht natürlich, denn Freiheit bedeutet eben auch Freiheit davon, etwas für andere, und seien sie auch nur fiktiv, darstellen zu müssen. Also muss Daniel Brühl, nein, Leonardo Di Caprio, nein, dieser andere Kerl ständig auf irgendwechen windumwehten Bergkuppen stehen, die Arme ausbreiten, sein Gesicht zur Sonne drehen und dabei entrückt schauen, oder gegen den Wind anschreien. Die Musik wird dabei extra laut gedreht, damit es auch wirklich deutlich wird, dass es sich um einen ergreifenden Moment handelt. Damit verkommt das große Gefühl leider zur Pose, ebenso wie die gesamte Haltung des Reisenden und seine Inszenierung im Film.
Aus dem Off kommentiert Chris' Schwester das Geschehen aus der Perspektive der Zuhause gebliebenen. Mit Küchenpsychologie der untersten Schublade versucht sie, den Freiheitsdrang ihres Bruders, den sie offenbar zu einer Art Hausgott stilisiert hat, zu erklären: Weil ihr Vater heimlich noch eine zweite Familie hatte, wollte Chris schon immer aus dem Leben, dass er als Lüge auffasste, ausbrechen. Warum es eines bürgerlichen Pseudo-Dramas in der Biografie bedarf, um das Bestehende in Frage zu stellen, bleibt unklar, ebenso wie es unklar ist, warum es überhaupt wichtig sein sollte, zu wissen, wie Chris mit vier Jahren war, und dass seine Eltern sich viel gestritten haben.
Chris begegnet auf seiner Reise vielen verschiedenen Menschen, Menschen mit unterschiedlichen Lebenskonzepten, die sich von denen seiner Eltern durchaus unterscheiden. Er arbeitet eine Weile auf einer Maisfarm und lebt in einer Hippiekolonie, er trifft einen religiösen Fanatiker, der an einem unendlichen Kunstwerk zu Gottes Ehren werkelt, und einen pensionierten Army-Offizier, der alleine in einem Haus der in Wüste lebt. Der junge Chris, der sich auf seiner Reise "Alexander Supertramp" nennt, predigt diesen Leuten seine Lehre, seine Binsenweisheiten von Freiheit und Authentizität, und natürlich predigt er Thoreau: "Anstatt Liebe, Geld und Berühmtheit, gebe mir die Wahrheit."
Die Wahrheit sucht er schließlich in der Abgeschiedenheit von Alaska. Als er glaubt, gut genug vorbereitet zu sein auf die Wildnis, macht er sich auf den Weg. Er stößt auf einen alten Bus, der wohl schon einmal jemandem als Obdach gedient hat, und lässt sich häuslich nieder. Er durchstreift die Umgebung, breitet von Zeit zu Zeit die Arme aus, natürlich, und reckt hin und wieder das Gesicht zur Sonne. Er ernährt sich von kleinen Tieren die er fängt, und von Reis, den er sich mitgebracht hat. Nebenbei liest er viel und macht sich Notizen. Bei der Lektüre von Tolstoi geht ihm plötzlich ein Licht auf: "Glück ist nur echt, wenn man es teilt" notiert er. Glück ist nur echt, wenn man es teilt? Ist es nicht genau diese Vorstellung, die man versucht zu überwinden, indem man alleine loszieht, auf der Suche nach der inneren Freiheit? Unseren Philosophen jedenfalls befriedigt diese spektakuläre Erkenntnis, er ist nun bereit, zurückzukehren in die Welt. Aber der Bach, den er auf dem Hinweg mit Leichtigkeit überquert hat, ist aufgrund der Scheeschmelze zu einem reißenden Strom angeschwollen; der Rückweg ist abgeschnitten. Um es kurz zu machen (was der Film nicht tut): Chris verhungert, oder er stirbt, weil er giftige Pflanzen gegessen hat, oder beides, das wird nicht ganz deutlich. Obwohl natürlich keiner wissen kann, was ein Verhungernder denkt, stirbt unser Protagonist mit der Vorstellung, wie er nach Hause kommt zu seinen Eltern, bei denen er sich kein einziges Mal gemeldet hat in den vergangenen Jahren, und wie sie sich alle glücklich in die Arme sinken. Er stirbt geheilt. Der verlorene Sohn kehrt zurück, zumindest in seinem Wahn. Das ist wirklich der Gipfel des Kitsches.
Der Film lehnt sich an die wahre Geschichte von Christopher McCandless an, der 1992 in Alaska verhungerte, obwohl die Zivilisation wohl doch nicht so weit entfernt, wie es schien. Nicht weit vom Bus gab es eine Notfallstation und etwas weiter einen Highway. Ironischerweise wird seine Leiche nur wenige Tage nach seinem Tod von Elchjägern gefunden, obwohl er über 100 Tage unentdeckt in seinem Bus gelebt hatte.
Der Preis der Freiheit, so suggeriert dieser Film, ist, möglicherweise zu sterben, weil man die Segnungen der Zivilisation mitsamt der Zivilisation von sich weist. Unser junger tragischer Held hier stirbt aber leider noch nicht einmal an der Freiheit selbst, er stirbt, ohne es zu wissen, nur an der Illusion von Freiheit. Die Flugzeuge, die von Zeit zu Zeit seinen Himmel kreuzen, verweisen darauf.
Die eigentliche Frage, die der Film leider nicht stellt, ist doch: muss man, um frei zu sein, unbedingt nach Alaska gehen, wo man wie der erste Mensch einen Großteil der Zeit damit verbringt, der widerspenstigen Natur das Lebensnotwendige abzuringen, oder begibt man sich so nicht von einer Abhängigkeit in eine andere? Warum soll der Kampf gegen Hunger und Kälte ein besserer, wahrhaftigerer sein als der gegen schlechtgelaunte Busfahrer und nicht funktionierende Pfandflaschenrücknahmeautomaten? Und wenn man schon der Zivilisation den Rücken kehren muss, warum dann Alaska? Warum nicht, sagen wir mal, Costa Rica? Wahrscheinlich, weil es dann kein Drama wäre, das mit dem Hungertod des Helden endet, sondern mit seinem paranoiden Wahnsinn.
Man darf vor allem auch nicht vergessen, dass "Into the Wild" auch ein Film ist über Männlichkeit. Der starke, zuverlässige und unverwundbare männliche Körper des Protagonisten steht im Mittelpunkt. Er marschiert, er klettert, er rudert, er tötet Tiere, Frauen begehren ihn, aber er kann nein sagen; er steigt zu jedem ins Auto, und keiner fragt ihn "Hast du denn gar keine Angst?" Nein, er hat keine Angst, er ist ja unverwundbar, und auf den Gedanken, dass er verhungern könnte, kommt er natürlich noch lange nicht. So gesehen verweist der Film vielleicht auch auf die Grenzen des Männlichkeitswahns.
Im Jahr 1845 zog sich H.D. Thoreau in eine selbstgebaute Blockhütte in den Wäldern von Massachusetts zurück, wo er zwei Jahre lang alleine lebte. Seine Erlebnisse und Gedanken veröffentlichte er später in seinem bekanntesten Werk "Walden, or, The Life in the Woods", das fortan zu Bibel aller Zivilisationsverweigerer wurde.
Auch der junge Chris, Held des Films "Into the Wild", ist der ihn umgebenden amerikanischen Mittelklassewelt überdrüssig. Nach dem Collegeabschluss graust ihn die Vorstellung, ein Studium aufzunehmen und letzendlich so zu werden wie seine Eltern. Er spendet seine Ersparnisse für die Universität an Oxfam, vernichtet alle seine Karten und Ausweise und begibt sich auf die Reise. Wohin? Nach Westen, versteht sich, wo schon immer das Abenteuer und die Freiheit lockte.
Zwei Jahre ist Chris unterwegs, er durchstreift Wüsten und Regenwälder und paddelt auf dem Colorado River bis nach Mexiko. Fast immer ist er dabei alleine, und obwohl die Aufnahmen der Landschaften schon von sich aus einen Eindruck von Freiheit und Unendlichkeit vermitteln, schien es den Filmemachern wichtig zu sein, dass dieses Gefühl zusätzlich schauspielerisch dargestellt wird. Doch wie stellt man Freiheit dar? Gar nicht natürlich, denn Freiheit bedeutet eben auch Freiheit davon, etwas für andere, und seien sie auch nur fiktiv, darstellen zu müssen. Also muss Daniel Brühl, nein, Leonardo Di Caprio, nein, dieser andere Kerl ständig auf irgendwechen windumwehten Bergkuppen stehen, die Arme ausbreiten, sein Gesicht zur Sonne drehen und dabei entrückt schauen, oder gegen den Wind anschreien. Die Musik wird dabei extra laut gedreht, damit es auch wirklich deutlich wird, dass es sich um einen ergreifenden Moment handelt. Damit verkommt das große Gefühl leider zur Pose, ebenso wie die gesamte Haltung des Reisenden und seine Inszenierung im Film.
Aus dem Off kommentiert Chris' Schwester das Geschehen aus der Perspektive der Zuhause gebliebenen. Mit Küchenpsychologie der untersten Schublade versucht sie, den Freiheitsdrang ihres Bruders, den sie offenbar zu einer Art Hausgott stilisiert hat, zu erklären: Weil ihr Vater heimlich noch eine zweite Familie hatte, wollte Chris schon immer aus dem Leben, dass er als Lüge auffasste, ausbrechen. Warum es eines bürgerlichen Pseudo-Dramas in der Biografie bedarf, um das Bestehende in Frage zu stellen, bleibt unklar, ebenso wie es unklar ist, warum es überhaupt wichtig sein sollte, zu wissen, wie Chris mit vier Jahren war, und dass seine Eltern sich viel gestritten haben.
Chris begegnet auf seiner Reise vielen verschiedenen Menschen, Menschen mit unterschiedlichen Lebenskonzepten, die sich von denen seiner Eltern durchaus unterscheiden. Er arbeitet eine Weile auf einer Maisfarm und lebt in einer Hippiekolonie, er trifft einen religiösen Fanatiker, der an einem unendlichen Kunstwerk zu Gottes Ehren werkelt, und einen pensionierten Army-Offizier, der alleine in einem Haus der in Wüste lebt. Der junge Chris, der sich auf seiner Reise "Alexander Supertramp" nennt, predigt diesen Leuten seine Lehre, seine Binsenweisheiten von Freiheit und Authentizität, und natürlich predigt er Thoreau: "Anstatt Liebe, Geld und Berühmtheit, gebe mir die Wahrheit."
Die Wahrheit sucht er schließlich in der Abgeschiedenheit von Alaska. Als er glaubt, gut genug vorbereitet zu sein auf die Wildnis, macht er sich auf den Weg. Er stößt auf einen alten Bus, der wohl schon einmal jemandem als Obdach gedient hat, und lässt sich häuslich nieder. Er durchstreift die Umgebung, breitet von Zeit zu Zeit die Arme aus, natürlich, und reckt hin und wieder das Gesicht zur Sonne. Er ernährt sich von kleinen Tieren die er fängt, und von Reis, den er sich mitgebracht hat. Nebenbei liest er viel und macht sich Notizen. Bei der Lektüre von Tolstoi geht ihm plötzlich ein Licht auf: "Glück ist nur echt, wenn man es teilt" notiert er. Glück ist nur echt, wenn man es teilt? Ist es nicht genau diese Vorstellung, die man versucht zu überwinden, indem man alleine loszieht, auf der Suche nach der inneren Freiheit? Unseren Philosophen jedenfalls befriedigt diese spektakuläre Erkenntnis, er ist nun bereit, zurückzukehren in die Welt. Aber der Bach, den er auf dem Hinweg mit Leichtigkeit überquert hat, ist aufgrund der Scheeschmelze zu einem reißenden Strom angeschwollen; der Rückweg ist abgeschnitten. Um es kurz zu machen (was der Film nicht tut): Chris verhungert, oder er stirbt, weil er giftige Pflanzen gegessen hat, oder beides, das wird nicht ganz deutlich. Obwohl natürlich keiner wissen kann, was ein Verhungernder denkt, stirbt unser Protagonist mit der Vorstellung, wie er nach Hause kommt zu seinen Eltern, bei denen er sich kein einziges Mal gemeldet hat in den vergangenen Jahren, und wie sie sich alle glücklich in die Arme sinken. Er stirbt geheilt. Der verlorene Sohn kehrt zurück, zumindest in seinem Wahn. Das ist wirklich der Gipfel des Kitsches.
Der Film lehnt sich an die wahre Geschichte von Christopher McCandless an, der 1992 in Alaska verhungerte, obwohl die Zivilisation wohl doch nicht so weit entfernt, wie es schien. Nicht weit vom Bus gab es eine Notfallstation und etwas weiter einen Highway. Ironischerweise wird seine Leiche nur wenige Tage nach seinem Tod von Elchjägern gefunden, obwohl er über 100 Tage unentdeckt in seinem Bus gelebt hatte.
Der Preis der Freiheit, so suggeriert dieser Film, ist, möglicherweise zu sterben, weil man die Segnungen der Zivilisation mitsamt der Zivilisation von sich weist. Unser junger tragischer Held hier stirbt aber leider noch nicht einmal an der Freiheit selbst, er stirbt, ohne es zu wissen, nur an der Illusion von Freiheit. Die Flugzeuge, die von Zeit zu Zeit seinen Himmel kreuzen, verweisen darauf.
Die eigentliche Frage, die der Film leider nicht stellt, ist doch: muss man, um frei zu sein, unbedingt nach Alaska gehen, wo man wie der erste Mensch einen Großteil der Zeit damit verbringt, der widerspenstigen Natur das Lebensnotwendige abzuringen, oder begibt man sich so nicht von einer Abhängigkeit in eine andere? Warum soll der Kampf gegen Hunger und Kälte ein besserer, wahrhaftigerer sein als der gegen schlechtgelaunte Busfahrer und nicht funktionierende Pfandflaschenrücknahmeautomaten? Und wenn man schon der Zivilisation den Rücken kehren muss, warum dann Alaska? Warum nicht, sagen wir mal, Costa Rica? Wahrscheinlich, weil es dann kein Drama wäre, das mit dem Hungertod des Helden endet, sondern mit seinem paranoiden Wahnsinn.
Man darf vor allem auch nicht vergessen, dass "Into the Wild" auch ein Film ist über Männlichkeit. Der starke, zuverlässige und unverwundbare männliche Körper des Protagonisten steht im Mittelpunkt. Er marschiert, er klettert, er rudert, er tötet Tiere, Frauen begehren ihn, aber er kann nein sagen; er steigt zu jedem ins Auto, und keiner fragt ihn "Hast du denn gar keine Angst?" Nein, er hat keine Angst, er ist ja unverwundbar, und auf den Gedanken, dass er verhungern könnte, kommt er natürlich noch lange nicht. So gesehen verweist der Film vielleicht auch auf die Grenzen des Männlichkeitswahns.
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